Einigung - Festigung - “Goldenes Zeitalter” (1413 - 1550)
Diese Phase kann auch als die “klassische” Phase der osmanischen Geschichte betrachtet werden, sie ist es letztendlich welche als Ideal in vielen Erklärungsmodellen zur osmanischen Gesellschaftsordnung als Grundlage herangezogen wird.[16]
Nachdem die innere Beruhigung eingesetzt hatte gingen die Eroberungen weiter. Ein letztes Kreuzfahrerheer wurde 1444 bei Varna vernichtet. Mit der Eroberung Konstantinopel am 29.05.1453 durch Mehmet II (1451-1481) endete nicht nur das Byzantinische Reich und damit einer der letzten christlichen Enklaven im Mittelmeerraum, sondern die Osmanen setzten zur Erreichung einer Weltmachtstellung an. Das dadurch gewonnen Prestige nutzte nun Mehmet II, um endgültig die inneren Feinde (türkische Stammesaristokaten) zu eliminieren und endscheitende Neuerungen in der Staatsführung und Landverteilung, vorzunehmen. Unter seinem Nachfolger Bayezit II (1481-1512) festigte sich das Reich und begann mit der Expansion in den arabischen Raum. 1516/17 eroberte Selim I (1512-1520) Syrien, Nord-Mesopotanien, Ägypten und die Heiligen Städten des Hedjas Medina und Mekka. Gleichzeitig war es das Ende des Mamlukenstaates in Ägypten und bedeutete die Übernahme des Kalifentitels von eben diesen.
Mit Süleyman I (1520-1566) änderte sich die Richtung der Expansion nach Westen wo er 1521 die Grenzfestung Belgrad eroberte. Nach der Vernichtung des ungarischen Heeres bei Mohac 1526, wobei nicht nur der letzte König starb sondern mit ihm ein großer Teil des ungarischen Adels, wurde das Haus Habsburg direkter Thronerbe und somit zum Gegner der Osmanen, die schon 1529 vor Wien standen, aber ohne Erfolg das Unternehmen abbrechen mussten. Zentralungarn wurde im Jahre 1547 zur osmanischen Provinz. Zusätzlich gelang es Süleyman I die nordafrikanischen Staaten in seine Herrschaft einzugliedern, damit begann der Aufbau einer der damals schlagkräftigsten Flotten des Mittelmeers. In dieser Zeit erreichte das Reich seinen militärischen und kulturellen Höhepunkt, doch die Anzeichen und Weichen der Stagnationen waren bereits in den späten Jahren der Herrschaft Sultans Süleyman I spürbar.
[16] Schändlinger, Anton: Die Endeckung des Abendlandes als Vorbild. Ein Vorschlag zur Umgestaltung des Heerwesens und der Außenpolitik des Osmanischen Reiches zu Beginn des 18 Jh., in: Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1789: Konflikt, Entspannung und Austausch. (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit Bd. 10, S. 89-112) Hrsg. Heiß, G. u. Klingenstein, G., München 1983, S. 90
3.1 Die Janitscharen
Bei den Janitscharen (yeni ceri)[30] handelt es sich um eine besondere seit etwa 1360 gegründete Waffengattung. Es bezeichnet eine Gruppe von Soldaten die als Kinder in Form einer Abgabe (Knabenlese) in christlichen Gebieten oder als Kriegsgefangene direkt der Befehlsgewalt des Sultans unterstanden. Ihre Ausbildung (devsirme-System) erforderte a. den Übertritt zum Islam b. das Erlernen der türkischen (osmanischen) Sprache während dem Einsatz in der anatolischen Land- wirtschaft c. Ausbildung zum Waffenhandwerk und/oder d. Ausbildung an der Palastschule. Der tatsächliche Verwendungseinsatz ergab sich nach den Fähigkeiten der Mitglieder dieser Gruppe:
1. Aufstieg in der Zentralverwaltung bis einschließlich der Position des Großwesieres und damit zum mächtigsten Mann der osmanischen Verwaltung.
2. Eingliederung in die zentralen Truppenteile der Janitscharen.
Diese waren jederzeit Einsatzbereit, weil sie in Kasernen wohnten, weder einem Beruf nachgingen noch verehelicht waren. Ideologisch standen sie unter dem Einfluss der Bektaschi Derwische, was ihre Koalitionsbereitschaft mit der niederen Ulema gerade in späteren Jahren nicht unerheblich Beeinflusste.
Ihre militärische Kampfkraft war im 14/15 und 16 Jh. von größter Wichtigkeit bei den Eroberungen der Osmanen, obwohl ihre Zahl in Relation zum gesamt Herr gering war. Unter Mehmet II etwa 12.000 Tsd. unter Selim 35.000 Tsd., Süleyman I etwa 40.000 Tsd., aber in späteren Zeiten etwa 70.000 Tsd. 1699. Seit 1685 erhob man keinen “Knabenzins” mehr und es konnten auch türkische Kinder in die Truppe eintreten die spätestens zu Ende des 17 Jh. ihre Kampfkraft und somit ihren Ruf einbüßten. 1826 wurden die Janitscharen von neuen Truppen unter Mahmut II vernichtet, weil sie nicht zu Militärreformen bereit waren, sondern diese sogar bekämpften.(31)
[30] Popoulia, D. Basilike: Ursprung und Wesen der “Knabenlese” im Osmanischen Reich. (Südosteuropäische Arbeiten, 59), München 1963
[31] Matuz, Op. cit., S. 219
Wirtschaft und Grundbesitz
Das Osmanische Reich hatte seine Haupteinnahmequellen in der Landwirtschaft sowie Handwerk und Viehzucht. Die Frage ob es sich dabei um ein Feudalsystem gehandelt hat ist weiterhin umstritten.[32] Der Boden selbst gehörte dem Staat und wurde von ihm an bestimmte Personen oder Einrichtungen vergeben. Ein im europäischen Sinne Privateigentum an Boden gab es nicht auch keinen “Erbadel”, welcher auf die Rentabilität des Ertrages achtete und den Boden weitervererbte. Die ab dem Ende des 16 Jh. innere Aushöhlung des Reiches führte zu einer Zerstörung der zukünftigen Rentabilität des Bodens und damit wurde im Gegensatz zu Europa keine Kapita akkumulation in der Landwirtschaft erzielt, als Voraussetzung einer Industrialisierung. Zusätzlich erschwerten die ab dem 16 Jh. geschlossenen Handelsverträge (Kapitulationen) die Wirtschaftspolitik des Reiches.[33]
[32] Werner, Op. cit., S. 11 ff. sowie Keskin Hakki: Die Türkei. Vom Osmanischen Reich zum Nationalstaat. Berlin 1981, S. 15 ff.
[33] Keskin, Op. cit., S. 20 ff. sowie Matuz, Op. cit., S. 158
Das Timar-System (Pfründewesen)
Das Timar-System[34] ist eine eigentümliche Besitzform im Osmanischen Reich welche im 15 Jh. bis ins 16 Jh. als bestimmende Erscheinungsform anzutreffen war. Im Osmanischen Reich gehörte der Großteil des Bodens direkt dem Staat, der ihn anstatt von Geldleistungen an Soldaten oder Verwaltungsbeamten vergab. Somit waren etwa 80% der gesamten Landmasse im Besitz des Staates, wobei 60 bis 65 % davon Timare (Präbendalland) waren. Diese wiederum unterteilten sich in drei Gruppen:
1. Kleinpfründe (timare) die in der Hauptsache an Reitersoldaten (Spahis) vergeben wurden, also Personen gebunden waren.
2. Großpfründe (ziamet) die in der Hauptsache an Offiziere (Subasi, etc.) vergeben wurden, also ebenfalls Personen gebunden.
3. Stabspfründe (has) die in der Hauptsache an Würdenträger (Wesire etc.) vergeben wurden, nicht aber Personen gebunden sondern Amtsgebunden waren.
Durch ein Aufhebungsgesetz von 1831 wurde das Timar-System abgeschafft und die meisten Landgüter in Staatsdomänen umgewandelt oder gingen in Privatbesitz der jeweiligen Inhaber.[35]
[34] Röhborn, Op. cit., (Timar ist persischen Ursprung und bedeutet “Vorsorge/Fürsorge” und hat die selbe Bedeutung wie das byzantinische “Pronoia” sowie Ähnlichkeiten mit dem seldschukischen “Iqta”.)
[35] Matuz, Op. cit., S. 222 ff.