Es gibt bis heute keine osmanische Kunstgeschichte (vergleichbar mit Epochen der Europäischen Kunstgeschichte) noch eine einheitliche Definition osmanischer Kunst. Osmanische Kunst ist weder ein homogenes Kulturprodukt noch ein geografisch fest umrissenes Verbreitungsgebiet. Sicher ist osmanische Kunst aus der Adaption anderer Kunstmerkmale entstanden. Hier reicht die Perspektive von Innerasien bis ans Mittelmeer und umfasst somit byzantinische, seldschukische sowie islamische Elemente. Auch europäische Einflüsse sind in Phasen der osmanischen Kunst nicht zu übersehen, spätestens seit dem 19. Jh. grundlegend in fast allen Gebieten des Osmanischen Reiches.
Osmanische Kunst Der osmanische Kunststil ist in ihrer Entstehung und Verbreitung eine stark reglementierte und großteils vom Hof des Reiches abhängige luxuriöse Kunst. Dennoch waren auch reiche Privatpersonen Abnehmer dieser zum Teil hochwertigen kunsthandwerklichen Produkte. Was wir im Osmanischen Reich beobachten war eine reiche Handwerkskunst in den Bereichen Steinmetz, Weberei, Metallverarbeitung und Schneiderhandwerk. Daneben unterschiedlichen kunsthandwerkliche Bereich wie Teppiche, Baumwoll- und Brokatverarbeitung sowie die Anfertigung feiner Filze. Am Hofe (Nakkashane) wurde die Besten der aus unterschiedlichen Teilen des Reiches herbeigerufenen oder bei Kriegszügen erhaltene Künstler beschäftigt.
Zweifellos war die Gruppe der Maler, die mit Tinte und Pinsel arbeiteten, Kalligraphen sowie Buchbinder, die den Buchschmuck ausführten, die wichtigste Gruppe von Kunsthandwerker die beide singuläre Osmanische Kunstbereiche erschufen die zu den bedeutendsten Kunsterzeugnisse des Osmanischen Reich gehörten, nämlich die Kalligraphie und die Keramik. Zusammen mit der einzigartigen osmanischen Moscheenarchitektur stellten diese Bereiche im 16.Jh. den Höhepunkt osmanischer Kunst dar.
Osmanische Kultur ist eine soziale Ordnung oder ein Sinnsystem, dass die Gesamtheit des miteinander geteilten Verhaltens bestimmenden Bedeutungen verkörpert. Für die osmanische staatstragende Gesellschaft, die so genannten (osmanli), war ein kollektives Wissen kennzeichnend, das heißt ein Bewusstsein bei seinen Mitglieder verankert, die über Erwartungen hinsichtlich üblicher Verhaltensweisen, Werthaltungen, sozialer Deutungsmuster und eines islamischen Weltbildes verfügten. Damit ist Kultur im engeren Sinn eine Ausdrucksform in Sprache, Literatur, Religion und Ethik, Kunst, Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Rechtsprechung. Die Werte osmanischer Kultur waren maßgeblich zum Erlangen des Status des Angehörigen des Osmanischen Reiches, egal welcher ethnologischer Abstammung oder sozialen Schichtung er angehörte, verbindlich. Grundlage der Kultur in den vom Osmanischen Staat beherrschten Gebiet war der Islam.
Osmanische Kultur ist eine städtische Kultur auch oder gerade in einem Staat der eigentlich in der Hauptsache in seiner Ökonomie agrarisch ausgerichtet war. Es ist auch eine Kultur deren Akzeptanz unterschiedlicher kulturelle Traditionen in dem er unterschiedlicher Religionsgemeinschaften (millet) duldete. Osmanische Kultur ist auch ein Sammelbegriff unterschiedlichster Verhaltensweisen einer Vielzahl von Völkern, die auch oder gerade dadurch ihre eigene Kultur beibehalten konnten und nach dem Ausscheiden aus dem Staat ihre eigene kulturelle Identität nicht neu erfinden mussten. Der Gegensatz zwischen imperialer osmanischer Kunst und Kultur und traditionellem Denken war Anlass im Zeitalter der Nationenbildung dieses multikulturelle Verständnis zu zerstören und die Unterschiede herauszustellen. Damit ging diese Kultur deren Stärke die Adaption unterschiedlicher Traditionen und Techniken vereinen zu können, verloren.
Genau wie in der Geschichtsschreibung wird versucht, die Entwicklung der Kunst zu periodisieren. Die Phasen repräsentieren damit immer Abschlüsse, Umbrüche oder Neuanfänge einer Entwicklung, die im Osmanischen Reich zum Teil sehr abrupt andere Kunststile in den unterschiedlichen Bereichen hervor- brachte. Diese Stielwechsel z.B. vom (rumi) Stil der Fliesen zum (hatayi) Stil und kurz darauf zur raumausgreifenden Verfliesung des gesamten Moscheeninnenraums mit neuen lebhaften Farbmustern, zeigt die Schnelligkeit aber auch Innovationsfreudigkeit einer für die Hauptstadt produzierende Keramikindustrie.
1. 1299 - 1460 (Frühphase): Mit Beginn des osmanischen Reiches entwickelte sich die osmanische Kunst vor allem aus einer Symbiose christlich-byzantinischer und islamisch-selduschukischen Kunst, die in den eroberten Gebieten maßgebliche die Baukunst bestimmte. “Insbesondere die Schrift als dekoratives Element, der zunehmende Gebrauch von Stalaktiten als architektonische Eckfüllung, die unendlich wirkenden Verschlingungen geometrischer Formen, die als osmanische Ornament schlechthin gültig bleibende Arabeske, die Blüten fernöstlichen Ursprungs, das alles sind Schmukelemente, die von der osmanischen Kunst aus der Seldschukenzeit übernommen wurden.”
2. 1460 - 1500 (Experimentierphase): Mit den Eroberungen Mehmed II strömten neue Stilrichtungen und Kunsthandwerke nach Konstantinopel die neue Impulse und Stile insbesondere mit
persischen Hintergrund etablierten. Diese Zeit war ein bewusstes Experimentieren mit den unter- schiedlichen kulturellen Stilrichtung. Beyazid II errichtete Wohnstätten am Hof für seine Künstler
(Nakkashane). Die aus dieser Einrichtung resultierenden schriftlichen Aufzeichnungen zeigen deshalb ein recht genaues Bild der Kunsthandwerker und ihrer Herkunft.
3.1500 - 1594 (Klassischephase): Basierend auf den reichen Erfahrungen und Techniken der am Hof lebenden Kunsthandwerker entwickelten sich Architektur und Keramik sowie die Buchmalerei in dieser klassischen Kunstphase zu einem imperialer osmanischen Stil. Geprägt ist diese Phase der osmanischen Kunst eindeutig vom Erschaffen einer klassisch osmanischen Baukunst beginnend über den Hofarchitekten Hayrettin. Dieser schuf in der Külliye Beyazid II Anlage in Edirne 1484 -1488 und der Moschee Beyazid II in Istanbul 1501-1506 den neuen osmanischen Moscheentyp. Sein berühmtester Nachfolger als Hofarchitekt Sinan, der zu den genialsten Architekten der Welt gerechnet werden kann, vollendete bis zu seinem Tod 1588 den osmanischen Baustil.
4. 1594 - 1703 (Postklassischephase): Diese Zeit gilt als postklassische Zeit in der zwar weiterhin öffentliche Gebäude errichtet wurden, deren Stil aber sich von der klassischen
Zeit nicht entfernte. Gleichzeitig wird diese Zeit vom ökonomischen und politischen Krisen begleitet die es dem Hof nicht mehr gestattet die bisherigen Künstler im gewohnten Umgang zu beschäftigen,
was zu einem Verlust der Wertigkeit der Materialen und der Qualität der Produkte führte.
5. 1703 - 1839 (Öffnungsphase): Mit der Rückkehr des Hofes aus Edirne unter Ahmed III begann eine neue Bauphase in Istanbul. Die Tulpe als Ausdruck einer neuen Zeit (Tulpenperiode lale devri 1718-1730) eröffnete den kulturellen Blick nach Europa. Neu Impulse in der Architektur, dem Innenausbau, Garten- und Landschaftsbau und die Einführung des Buchdruckes waren Folge dieser kulturellen Blüte. Dabei verbreitetet sich auch der imperiale osmanische Baustil in andere Teile des Osmanischen Reiches insbesondere in den Libanon (Beit ed-Din Palast), Syrien (Azem Palast) und Ägypten (Öffentliche Bauten und Moscheen unter Muhamed Ali) und nach Ostanatolien (Ishak Pasa Saray). In Istanbul entstanden neue Stilformen im Bau der Nuro Osmaniye Cami (1748) und der Nusretiye Cami (1822-1825) sowie der Kücük Efendi Cami (1805) und einer Reihe von Brunnenhäusern, Staudämme und Kasernen. Die dabei verwendeten Kunststile wie osmanischer Rokoko und in der Reformphase nachfolgender osmanischer Barock oder osmanischer Empirestil zeigen deutlichen den europäischen Einfluss. Trotzdem war die Originalität der Umsetzung und Verschmelzung der Baustile eine bedeutende Symbiose europäischer und osmanischer Baukunst.
6. 1839 - 1908 (Reformphase): Mit dem Beginn der Tanzimatzeit (1839-1878) richtete sich der Blick der Architektur klar auf die monumental Bauformen in Europa. Mit der
Architekturfamilie Balian entstanden neue Palastanlagen (Dolmabahce, Beylerbay, Ciragan) die eindeutig europäische klassizistische Stilelemente mit islamisch-osmanischen Stile mischten. Es war eine
neue Blüte in der osmanischen Baukunst, aber besonders auch in der osmanischen Kalligraphie die im 19. Jh. bzw. Anfang des 20. Jh. ihre Blütezeit erreichte. Neu Kunstformen wie Ölmalerei, Theater,
Literatur- formen wie der Roman, aber auch Photographie und Film wurden als populäre Kulturformen übernommen und bildeten die Basis einer bis in die Gegenwart reichenden kulturellen
osmanisch-türkischen Kunst und Kultur. Nach 1908 erstarrte die Moscheenbautechnik, neuartige Stile und westliche Durchdringung weichen einer nationalen Sicht. Der imperiale Anspruch des Reiches
wechselte zu einem rückwärtsbezogen national türkischen Kunst und Kulturverständnis, der den Baustil neuer Moscheen als Rückgriff auf bewährte Formen sanktioniert und bis heute Neuerungen im
Moscheenbau tabuisiert.
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