Im 15 Jh. entstand im osmanischen Reich aus der persischen Lyrik die sogennante Diwan Literatur (divan edebiyati). Vorbild waren persische Klassiker wie Hafis oder Saadi aber auch der anatolische Mystiker Celalettin Rumi.
Dabei hat die osmanische Dichtung lange Zeit im Schatten der persischen Dichtung in Europa gestanden. Hier ist die deutsche Übersetzung von Hafis durch Friedrich Rückert gemeint, die als Vorbild für Goethe und sein West-Östlichen Diwan diente und die Ghasal Dichtung auch in unserem Kulturkreis einführte.
Erst der Engländer E.J.W. Gibb mit seinem sechbändigen Werk "History of Ottoman Portry" und der österreichische Osmanist Joseph von Hammer-Purgstall mit seinen vier Bände "Geschichte der osmanischen Dichtkunst bis in unsere Zeit (1836-38)" aber auch die überragende Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel öffneten die Forschung und das Interesse an der klassisch osmanischen Hochliteratur.
Die osmanische Hochliteratur (15 bis 20 Jh.) orientierte sich an einem schematischen Formideal, wirkt oft überladen und ist in mit zahlreichen persisch-arabischen Elementen durchsetzter hochosmanischer Sprache verfasst.
"Was ist das Charakteristikum dieser sogennanten Divan-Literatur?. Wir sind, seit Goethe, gewöhnt Dichtung als Erlebnisdichtung zu verstehen, als mehr oder minder unmittelbaren Ausdruck eines Erlebnisses, und wir erwarten meist ein Vorherrschen des Gefühls in dem, was wir als lyrische Gedichte bezeichnen. Doch dieser Gesichtspunkt ist verhältnismäßig jung. Anderthalb Jahrhunderte vor Goethe hat in Europa in der Barrockdichtung eine Ausdrucksform geherrscht, die in vielen Einzelheiten der klassischen orientalischen Poesie gleicht. Wortspiele, Anspielungen auf Werke frührer Dichter, kunstreiche Verschränkungen der Zeilen - alles dieses finden wir in der deutschen, vielleicht noch stärker in der englischen Barocklyrik wieder; ein persönliches Erlebnis wird nicht durch einen vom Dichter eben in diesem Augenblick erfundenen oder gefühlten Ausdruck wiedergegeben, sondern durch ein Symbol, das seit altersher ererbt ist und von dem jeweils Dichter nur in noch feinerer, noch kunstvoller Form ausgearbeitet wird."
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 14)
Gedichte von Hafiz:
"Du, vor dem die keusche Knospe sich errötend neigt
Und die trunkene Narzisse Scham und Staunen zeigt!
Kann mit dir doch selbst die Rose sich vergleichen nicht,
Denn sie borget von dem Monde, er von dir das Licht."
"Hör ich des Wonnevogels Flügelschläge?
Schickt Düfte mir der Wünsche Rosenflur?
Wie, oder spricht der Wind von Seinere Lippe?
Kurz, ich vernehme Wunderbares nur."
(Bürgel, J.C.(Hrsg.): Muhammad Schams Ad-din Hafis. Gedichte aus dem Diwan. (Reclam 9420), Stuttgart1980 S.56)
Osmanische Dichter
Mit ihrer Mischung von arabisch-persischen und türkischen Elementen, Metaphern, Wortspielen u. Ä. war sie nur den Gebildeten verständlich. Zu den führenden Dichtern zählen im 15. Jahrhundert Ahmed Pascha (1426-1497), im 16. Jahrhundert Baki (1526-1600) und Fuzuli (1494-1555) sowie der sprachlich wie thematisch originelle Yahya Bey (gest.1582), im 17. Jahrhundert der Satiriker Nefi (1572-1635) im 18. Jahrhundert Nedim (1681-1730) sowie Scheich Ghalib (1757-1799). Der Übergang von der Diwan Lyrik im 20 Jh. in die Moderne bleibt mit dem Namen Orhan Veli Kanik (1914-1950) verbunden. Als Dichter traten nicht selten auch Sultane und Prinzen (Prinz Cem) hervor.
Gedicht von Ahmed Pascha
"Eine Liebesepistel!
hab `ich der Liebenden geschrieben,
Hab`auf dem Herzblatt
den Sendebrief des Sehens geschrieben,
Habe Nachtigall Kummer,
die Klagerufe der armen,
Mit des Morgenwinds Hand
in den Rosengarten geschrieben.
Nahm zum Vorbildmir,
was mein Herz mit der Locke erlebte:
Habe des Kummers Erzählung
auf wirre Blätter geschrieben.
Hab´dein Traumbild so tief ins Herz gegraben,
als hätt`ich
Bilder, Zeichen in den Pokal
von Korallen geschrieben.
Ach, voll Sehnsucht begann ich
ganz und gar zu entflammen.
Als die Glut, die dein Wangenglanz mir geschenkt,
ich beschrieben!
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 64)
Gedicht von Fuzuli:
Der Herzensvogel baute sich ein Nest in deinem wirren Haar
Wo ich auch sei, o Fee mein Herz weilt dir zur Seite immerdar.
Im Liebesschmerz fühl ich mich wohI, greif nicht zur Medizin oh Arzt
Mein Tod ist deine Arzenei - reich keine Medizin mir dar!
Zieh nicht kokett den Rocksaum fort von den Verliebten. Stell dir vor.
Es heb sich betend himmelwärts die Hand nicht, die am Saum dir war!
Siehst meine Tränen du, schilt nicht voll Abscheu: ihre Feuchte stammt
Von jenem Salze, das versteckt in deinem Zuckerlippenpaar!
Von leisen Schlummer noch berauscht füg mein zerstücktes Herz in eins,
Es steckt ein jedes Stück von ihm auf einer deiner Wimpern gar.
Von dir getrennt zu sein, das heißt vom Leben fast getrennt zu sein
Ich staune, wie von dir getrennt noch immer lebt der Menschen Schar!
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 89)
Aus der Elegie auf Sultan Süleymanns Tod 1566 durch Baki:
"Wie ich im Kummer um dich rastlos Länder durchjagte,
Wand`re die Wolke am Himmel und weine und klage!
Jammer der Vögel der Frühe erfülle die Welten:
Rose, zerreisse dein Kleid! Sprosser, Totenlied sage!
Fränen um Tränen vergieß`das Gebirg`in die Täler,
Zause die Locken der Hyazinthen im Hagel!
Rose senke aus Schmerz nun ihr Haupt in den Wegstaub,
Gleich der Narzisse sie nach dem Gerichtstage frage!
Tulpengleich brenne das Inn`re des Moschusbehälters,
Denkt er des Dufts, den des Wesen des Schahs
in sich trage!
Machten die Meere die Welten zu perlenden Augen:
Keine so fürtliche Perle wie du käm zutage!
Herz, o du bist mein Vertrauter und gleich mir gestimmt:
Kommlaß der Rohflöte gleich uns beginnen die Klage!
Laß uns beginnen Musik nun
des Seufzens und Schrei`s!
Daß unsere Verse erregen die Männer im Kreis!" ...
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 102)
Teil eines Gedichtes von Sultan Sülymann, das er unter seinem Pseudonym Muhibbi veröffentlichte:
"Ich bin der Sultan der der Liebe:
Ein Glas Wein ist genug,
ummein Haupt zu krönnen
und die Brigade all meiner Seufzer
könnte ebenso gut
als feuerspeiende Truppe dem Drachen dienen.
Die Schlafstätte, meiner Geliebten,
die am besten zu dir passt,
ist ein Bett aus Rosen;
mir reicht
ein Lager und ein Kissen,
in Felsen gehauen.
Meine Liebe, nimm einen goldenen Becher
zur Hand und trinke
im Rosengarten vom Wein,
mir reichen
die Kelche deiner Augen,
um einen Schluck Blut aus meinem Herzen zu trinken." ....
(Boom. Henk: Der große Türke. Süleyman der Prächtige. Sein Leben, sein Reich und seinen Einfluss auf Europa, Berlin 2012 S. 300 ff.)
Gedicht von Nedim:
"Ich würde mich nicht öffnen, wär`ich dein Kleidersaum.
Wär`ich dein Hemd - wer sähe wohl deiner Brüste Flaum?
Wenn dich für immer fände der Suchende bei mir,
Wärst du die Rosenknospe, wär´ich dein Rosenbaum.
Ob man mich auch verjage, vertriebe oder schlüg`-
Wenn ich dein eigen wäre, bei Gott! beklagt`ich`s kaum.
Bin ich auch keine Kerze an deinem Fest - voll Glut,
Wär`ich nur eine Fackel in deinem Königsraum ...!"
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 125)
Ein Gedicht von Orhan Veli:
Ich höre Istanbul
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Zuers weht ein leichter Wind,
Leicht bewegen sich
Die Blätter in den Bäumen.
In der Ferne, weit in der Ferne.
Pausenlos die Glocke der Wasserverkäufer.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
In der Höhe die Schreie der Vögel,
Die in Scharen fliegen.
Die großen Fischernetze werden eingezogen,
Die Füße einer Frau berühren das Wasser.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Der kühle Basar,
Mahmutpascha mit dem Geschrei der Verkäufer,
Die Höfe voll Tauben.
Das Gehämmer von den Docks her;
Im Frühlingswind der Geruch von Schweiß.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Im kopf den Rausch vergangener Feste.
Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern,
Das Sausen der Südwinde legt sich.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ein Dämchen geht auf dem Gehsteig.
Flüche, Lieder, Rufe hinter ihr her.
Sie läßt etwas aus der Hand fallen,
Es muß eine Rose sein.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ein Vogel zappelt an deinen Hängen.
Ich weiß, ob deine Stirn heiß ist oder nicht,
Ich weiß, ob deine Lippen feucht sind oder nicht.
Weiß geht der Mond hinter den Nußbäumen auf,
Ich weiß es von deinem Herzschlag.
Ich höre Istanbul.
(Pazarkaya, Yüksel: Rosen im Frost. Einblicke in die türkische Kultur.Zürich 1989 S. 144 ff.)
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(folgt in Kürze)