Osmanisches Reich
Osmanisches Reich

Recht und Glaube

Eine Darstellung des Osmanischen Reich ist nicht denkbar ohne die Darstellung dessen, was die osmanische Gesellschaft prägte. Dazu gehört die theoretische wie praktische bzw. politische Ideengeschichte islamischer Denkmuster (Islam). Diese basieren auf islamisch – türkischen Legitimations- und Gesellschaftskonzepten, hauptsächlich des sunnitischen Islams. Dies erfordert eine Einführung in die Rechts- und Glaubensgeschichte, eine Betrachtung der einzelnen Träger dieser Tradition und deren Bildung (Ilmiye/ Seyhülislam/ Religöse Koexistens).



Die Sunna im Osmanischen Reich

Im Osmanischen Reich bildete der sunnitische (hanafiticher Schule) Islam die Grundlage des Glaubens. Dabei bedeutet (sunna) Herkommen/Brauch das Trachten eines gläubigen Menschen nach Brauch und Herkommen zu leben und zu handeln. Der Inhalt des Brauchs ist in den vom Propheten Muhammad überlieferten Lehren und Aussprüchen gegeben (hadithe).

Die klassischen Rechtsschulen

Der Engel Gabriel und Muhammad 15.Jh.

Hanafiten: Abu Hanifa (699 - 767)


Malikiten: Malik ibn Anas (708 -795)


Schafiiten: Muhammad ibn Idris al-Schafi (767-820)


Hanbaliten: Ibn Hanbal (780 - 855)


Dschafariten: Abu Abd-Allah Dschafar ibn Muhammed al-Sadiq (765) (Rechtschule der Schiiten)

„Der Islam ist eine Gesetzesreligion. Gott hat seinem letzten und größten Propheten Muhammad seinen Willen offenbart, der in der heiligen Schrift, dem Koran, teilweise in Gesetzesform niedergelegt ist. Diese ewigen, heiligen, göttlichen Gesetze müssen in der Welt, in einem Gemeinwesen zur Anwendung kommen, damit Islam als Religion sein kann. Islam ist daher nie allein die private Angelegenheit des Individuums gegenüber seinem Gott, sondern immer auch Sache der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und des Staates.“



Radtke, Bernd: Der sunnitische Islam, in: Ende/Steinbach (Hrsg.) Der Islam in der Gegenwart. München 1984 S.57

Gott, nicht der Mensch, ist der Gesetzgeber

Dabei ist Gott der einzige Gesetzgeber. Seine Vertreter auf Erden wie der Prophet, dann die Kalifen und später andere Herrscher eines islamischen Staates, sind nur Ausführer des göttlichen Rechts (scharia).


Mit der geschichtlichen Zersplitterung der politischen Einheit des Islam und seiner realen Entfernung von der Fiktion der Idee einer Einheit zwischen weltlicher und religiöser Macht, entstand eine Teilung der Autorität zwischen Herrscher und den religiösen Schriftgelehrten, der so genanten Ulama. Die Ulama (türk.Ulema) entwickelte sich zur Hüterin des sakralen Gesetzes und kodifizierte zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert das Recht. Aus der ursprünglichen gemeinsamen und gleichwertigen Grundlage von Theologie (kelam) (Grundlage der Glaubenslehre) und Rechtswissenschaft (Grundlage der Lebenspraxis) setzte sich die orthodoxe (Das Festhalten an einer in einer bestimmten Form niedergelegten Meinung oder Lehre) Ulama als Anhänger der fiqh - Wissenschaften durch.

Die fünf Glaubenslehren des Islams (2,Vers 177)

1.  Das Glaubensbekenntnis (shahada)

“Ich bezeuge, dass es keinen anderen Gott gibt als Allah, und Muhammad ist sein Prophet.”
2. Das Gebet (salat)

Fünf rituelle Gebete am Tag nach vorherigen Waschungen.
3. Die Almosen-Steuer (zakat)

Empfohlene freiwillige Spende zugunsten der Armen.
4. Das Fasten (siam)                                                                                                                        Plichtfasten des Gläubigen im Fastenmonat (ramadan)
5. Die Wallfahrt (hadjj)

Pflicht bzw. Soll des Gläubigen zum Besuch der Heiligen Stätten (Mekka und Medina)

Die Rechtswissenschaft (fiqh)

„Die islamische Rechtswissenschaft ist demnach prinzipiell die Auslegung des göttlichen Willens nach Maßgabe der vom Schöpfer festgelegten fundamentalen bzw. dogmatischen Kriterien; sie bilden den Grundstein der Beurteilung des menschlichen Handelns.“ Nagel, Tilman: Das islamische Recht. München 2001 S. 9

 

Zur Herleitung der Bewertungskriterien aus den islamischen Quellen für die Praxis braucht es einen nach bestimmten erlernten Methoden ausgebildeten Rechtsgelehrten (fiqh).



Islamische Quellen der Rechtswissenschaft

Osmanischer Koran Ende 19. Jh. (Türkei)

Die Rechtswissenschaft basiert auf vier Wurzeln (usul). Die Quellen stehen dabei nicht auf einer Linie. Nur Koran und Sunna sind eigentliche Quellen, der Analogieschluss und der Konsensus der Gelehrten sind eher als methodische Grundsätze zu sehen.


“Um die Wende vom zweiten zum dritten islamischen (8./9.) Jahrhundert vollzog der große Jurist al-Safi (767-820) den entscheidenden Schritt zu einer neuen Rechtstheorie: Für Safi ist Sunna nicht mehr - wie für seine medinensischen Lehrer- die idealisierende Praxis nach dem Konsensus anerkannter Autoritäten; sie ist vielmehr identisch mit dem Konsensus der Gemeinde postuliert wird, auszulegen durch strengen Analogieschluß, doch dem persönlichen Ermessen nicht verfügbar.”


Endreß, Gerhard: Einführung in die islamische Geschichte. München 1982 S.81)

 

„Insofern beansprucht im Gegensatz zum Christentum die Jurisprudenz und nicht die Theologie den höchsten Rang; d.h. nicht die Theologie, sondern fiqh wurde als Kern der islamischen Wissenschaften betrachtet.“


Kürsat, Elcin: Der Verwestlichungsprozeß des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert. Frankfurt  2003,  S. 78



1. Koran


Der Koran setzt sich aus 114 Abschnitten, die (suren) genannt werden, zusammen. Die vorgenommene Anordnung folgt dem Prinzip der Länge: Sure 2 ist mit 286 Versen (ayat) die längste, die Suren 108 und 110 sind mit je drei Versen die kürzesten. Der Sure 2 geht ein kurzes Gebet vor- an, das von den Muslimen bei vielen Gelegenheiten rezitiert wird und das als erste Sure zählt; es heisst (al-fatiha), (die Eröffnende). Die Anordnung der Suren folgen weder der chronologischen Reihenfolge ihrer Offenbarung, noch ergibt sie einen fortlaufenden, zusammenhängenden Text. Jede Sure ist für sich zu betrachten, wobei gelegentliche Brüche im Text erkennen lassen, dass auch einzelne Suren wieder aus verschiedenen Texten zusammengesetzt sind.


“... der Koran ist für den Muslim das Wort Gottes, das durch den Engel Gabriel dem Muhammad übermitteln ließ, und zwar als Abschrift des himmlischen Urbuches in arabischer Sprache, damit er es den Arabern und über die Grenzen Arabiens hinaus allen Menschen verkünde.” Khoury, Adel Th.: Begegnung mit dem Islam. Freiburg 1980 S.21


2. Überlieferung (Sunna)


Mit Sunna sind alle Handlungen, Aussprüche oder Lehren des Propheten wiedergebenden Tradition und der Propheten Gefährten gemeint, so genannte (hadithe). Es sind vor allem im 8. Jh. entstandene, nicht koranische Quellen, die sich in je zwei Teile methodisch gliedern. Zum einen Teil den der Überlieferungskette der Gewährsmänner (isnad) und einen anderen Teil, nämlich der Inhalt des Hadith (matn). Diese Unterscheidung wurde für die nachgeborenen Rechtswissenschaftler not- wendig um die Vielzahl von vermutlichen Hadithen von den tatsächlichen Hadithen zu selektieren. Ob damit immer eine Hadith tatsächlich wahr ist, ist bis in die Gegenwart zwischen den Gelehrten strittig.

 

3. Analogieschluss (qijas)


Analogieschluss ist die Anwendung einer festgelegten Regel für einen im Wesen gleichen Fall.


4. Konsensus der Rechtsgelehrten (igma)


Einmütiger Konsens der Rechtsgelehrten bzw. der Gemeinde (umma) über eine Regel, die weder im Koran noch in einem Hadith zu finden ist.

 

Die Herausbildung der Dogmatik

Mit der Dominanz der fiph und dem Herausbilden der islamischen Dogmatik im 9. Jahrhundert verlor die theologische Philosophie ihren Platz in den islamischen Wissenschaften. Die sich im 11. Jahr- hundert ausbildenden Bildungsstätten (Madrassa/Medresse) konzentrierten sich in der Hauptsache, nach dem Ende der Möglichkeit der eigenen Auslegung der islamischen Quellen,  in der Erläuterung und Anwendung der für alle Zeit feststehenden Lehrmeinungen.

 

„Nach der vorherrschenden Lehrmeinung ist das “Tor des uneingeschränkten igtihad”, der selbständigen Forschung aus den Quellen, dem Koran und der Überlieferung, etwa seit dem 3. Jahrhundert der Hischra (9. Jahr.) geschlossen. Seither fühlt man sich an die Autorität der Früheren durchaus gebunden.“ Hartmann, Richard: Die Religion des Islam, Berlin 1944 S. 142



Die Ulema im Osmanischen Reich

Mitglieder der osmanischen Ulema im 16 Jh.

Die einzige Möglichkeit, Veränderungen in diesem System vorzunehmen, blieb in der  Erteilung eines Rechtsgutachtens (fetwa). Andere Arten von Reformen wurden als unzulässige, dem Herkommen widersprechende Neuerungen (bit`at), von der Ulema (Rechtsgelehrten) abgelehnt.


Die Ulema im Osmanischen Reich wurde geprägt durch die Ilimiye. Unter Ilimiye (Ilmiye Sinifi/ wissenschaftliche Laufbahn) versteht man die gesellschaftliche Gruppe (Korps) der Schriftgelehrten (die eigentlichen Männer der Feder) im Osmanischen Reich. Diese institutionelle für das Osmanische Reich charakteristische Gruppe, bestimmte das religiöse Erziehung- und Rechtswesen und die damit verbundenen Verwaltungs- und Aufsichtsfunktionen im Staat. Sie waren als behördliche Vertreter die Bindung und Identifikation zwischen Beherrschten (raya) und dem osmanischen Staat.


Die oberste Aufsicht im verwaltungstechnischen und religiösen Sinne wurde im Amt des Scheich ül-islam im Laufe des 15. Jahrhundert institutionalisiert. Damit wurde eine verbindliche und einheitliche Rechtsauslegung (ifta) im Osmanischen Reich geschaffen.



Literaturauswahl

Koranübersetzungen in deutscher Sprache


Henning, Max: Der Koran. Stuttgart 1960/ 1987 (Diese Übersetzung mit einer Einleitung von Annemarie Schimmel, eignet sich als preiswerte Alternative.)


Khoury, Adel: Der Koran. Arabisch-Deutsche Ausgabe. Gütersloh 1987 12 Bände.

 

Rudi, Paret: Der Koran. Übersetzung Bd. 1, 3 Aufl. Stuttgart 1983

Rudi, Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz. Bd. 2, 2 Aufl. Stuttgart 1980  (Diese Übersetzung eignet sich für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Koran. Die Übersetzung gibt es auch als DVD)


Bobzin, Hartmut (Hrsg.): Der Koran. In der Übersetzung von Friedrich Rückert 1787. 2 unver. Aufl. Würzburg 1996 (Diese Übersetzung versucht den Poesiecharakter des Korans im deutschen zu Vermitteln. siehe hierzu: Annemarie, Schimmel: Friedrich RückertBiographische Notizen, in: Europa und der Orient 800 - 1900 (Hrsg.) Sievernich, G. und Budde, H., Berlin 1989 S. 96-105)



Allgemeine Einführungsliteratur zum Islam und zur islamisch-arabischen Geschichte

 

Brockelmann, Carl: Geschichte der islamischen Völker und Staaten. München 1939

 

Cahen, Claude: Der Islam I, Vom Ursprung bis zu den Anfängen des Osmanischen Reiches (Fischer Weltgeschichte Bd. 14). Frankfurt 4 Aufl. 1976

 

Grunebaum, G.E.: Der Islam II, Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel (Fischer Weltgeschichte Bd. 15) Frankfurt 3 Aufl. 1976

 

Halm, Heinz: Der Islam. Geschichte und Gegenwart. München 2000, 8 erw. Aufl. 2011



Hartmann, Richard: Die Religion des Islam. Nachdr. d. Ausg. 1944, Darmstadt 1987

 

Ende, Werner und Udo, Steinbach: Der Islam in der Gegenwart. München 1984

 

Endreß, Gerhard: Einführung in die islamische Geschichte. München 1982

 

Enzyklopädie des Islam, 4 Bände Leiden 1913-1934, Ergänzungsband 1938

 

Schimmel, Annemarie: Der Islam. Eine Einführung. Stuttgart 1990 

 

Schulze, Reinhard: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jh. München 1994

 



Einzelfragen zur Glaubenslehre und zu Mohammed                      


Bobzin, Hartmut: Der Koran. Eine Einführung. München 2004

 

Halm, Heinz: Die Schia. Darmstadt 1988

 

Gätje, Helmut: Koran und Koranexergese. Zürich 1971

 

Paret, Rudi: Mohammed und der Koran. 5 Aufl. Stuttgart 1980

 

Nagel, Tilman: Das Islamische Recht. Westhofen 2001

 

Nagel Tilman: Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam. 2 Bände. Zürich 1981

 

Stieglecker, Hermann: Die Glaubenslehren des Islam. Paderborn 1962

 

Materialien zur Religionswissenschaft Islam (deut.)



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