Vorraussetzungen der osmanischen Literatur
Die osmanische Literatur basiert zum Einen aus Erzählungen der türkischen Mythologie (Hier sind vor allem die türkischen Epen wie die Asena-Legende, die Ergenekon-Legende, der türkische Erzählzyklus Dede Korkut bestehend aus zwölf Geschichten der orgusischen Erzähltradition wichtig, hinzu kommen historische Aufzeichnungen anonymer Chronisten, Heiligenlegenden, Heldensagen, Lobdichtungen auf lokale Herrscher) und zum Anderen aus der Symbiose arabischer und persischen Literatur.
Wichtige literarische Zentren waren Konya, Bursa und Aydɪn. Die ersten bedeutenden Vertreter der sufischen Derwischdichtung waren Mevlana Celaladdin Rumi (1207-1273) und sein Sohn Sultan Veled (1226-1312) und der volkstümliche Mystiker Yunus Emre ( ? -1321), der die spätere Dichtung stark beeinflusste.
Auzug aus der Geschichte von Kan Tureali, dem Sohne Kanli Kodschas:
"He, mein Held, mein junger Beg!
Rötliche Kamele im Gehege,
weichen die wohl von dem Jungen?
Edle Rosse in den Pferchen,
schlagen die wohl ihre Füllen?
Graue Scharfe in der Hürde,
treten die wohl ihre Lämmer?
Kühne Helden, junge Bege,
töten diese ihre Schöne?"
(Hein, Joachim: Das Buch des Dede Korkut. Ein Nomadenepos aus türkischer Frühzeit.Zürich 1958 S. 207)
"Ein Mensch in Gott ist trunken ohne
Wein und satt auch ohne Fleisch.
Ein Mensch in Gott lebt in Erstaunen und
Verzückung, er braucht nicht Nahrung noch Schlaf.
Ein Mensch in Gott ist König in der
Derwischkutte, ist ein verborgener
Schatz in einer alten Burg.
Ein Mensch in Gott hat keinen Leib aus
Staub und Wind, aus Feuer und Wasser.
Ein Mensch in Gott ist Teil vom
grenzenlosen Meer und darum kann
es Wunderperlen ohne Wolken regnen.
Ein Mensch in Gott hat hundert schöne Monde
und hundert Liebessonnen, ja hundert Himmel.
In Betrachtung der Wahrheit wurde er weise,
nicht durch Bücher.
Dem Menschen in Gott stellt sich die Frage nach dem rechten Glauben nicht. "Richtig" und "falsch" sind ihm zwei Hälften einer Sache.
Ein Mensch in Gott wirkt nicht im Alltagsleben. Sein Glanz bleibt ihm und anderen verborgen.
Der Mensch in Gott hat strahlende Begleiter. Oh Schems ud-Din!
Suche du und finde Sie." (Rumi)
(G. und T. Sartory (Hrsg.) Gesänge des tanzenden Gottesfreundes. Aus der Dichtung des persischen Mystikers Rumi. Freiburg 1981 S. 70 ff.)
" Am Haupt der Berge voller Schnee,
O Wolke, trauben-, traubenschwer:
Dein Haar dir lösend, weinst um mich,
Wenn Trän`um Träne tropefend fällt?"
(Yunus Emre)
(Schimmel, Annemarie: Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Köln 1993 S. 9)
Nasreddîn Hoca
Neben der Derwischliteratur und den türkischen Epen existierte euch eine humoristische prosaischer Geschichtenkultur, die den gesamten türkisch-islamisch Raum vom Balkan bis zu den Turkvölkern Zentralasiens beeinflusste. Ihr bekanntester Vertreter war Nasreddin Hoca.
Vor der Verbreitung gedruckter Bücher erfolgte die Überlieferung solcher humoristischer Erzählungen vor allem mündlich, eine Tradition, die sich in der Türkei bis heute erhalten hat. Hier finden regelmäßig Hoca-Nasreddin-Festivals statt, in denen seine Witze inszeniert werden.
In vielen Erzählungen spielt er eine Witzfigur, in Anderen eine Art Till Eulenspiegel. Jedenfalls sind seine Geschichten heute vom Mittelmeer bis Zentralasien verbreitet und immer noch sehr beliebt.
Unbezahlbar
Eines Tages fragte Timur Lenk den Hoca: "Wie viel, glaubst du, dass ich wert bin?" Timur erwartete als Antwort eine unermessliche hohe Geldsumme und war schockiert, als der Hoca antwortete: "Einige Goldstücke!" "Aber Hoca, allein meine Kleidung ist schon so viel Wert." "Natürlich", erwiderte der Hoca, "dass ist, woran ich auch gedacht habe. Aber dass, was in der Kleidung steckt, kann man nicht bezahlen"
(Nasreddin Hoca)
(202 Witze von Nasreddin Hodja, Istanbul S. 198)
Neben der humoristischen Volksliteratur existierten auch Märchen (hierzu: Elsa Sophia von Kamphoevener), Anekdoten, Legenden, Gesängen, Rätseln und Sprichwörtern. Bekannter Vertreter der Troubadourdichtung (Âşɪk) - oder »Saz«-Dichtung) war Pir Sultan Abdal 16 Jh. oder Karacaoglan 17 Jh. Volksschauspielgattungen waren das komisch-satirische Schattenspiel (Karagöz) und das Puppenspiel (Orta Oyunu), eine Art Schauspielertheater ohne Bühne, sowie die Meddâh - Erzählungen.
Video und Homepage: TURKISCHES SCHATTENSPIEL (KARAGOZ HACIVAT)
Die gelbe Herbstzeitlose
Gelbe Herbstzeitlose, du
Sag, wo überwinderst du
Warums fragst du, Bruder, sag
In der Erde, ja gewiß.
Gelbe Herbstzeitlose, du
Was ißt in der Erde, du
Warum Fragst du, Bruder, sag
Esse von der Manna doch.
Gelbe Herbstzeitlose, du
Vater, Mutter hast du dort
Warum fragst du Bruder, sag
Regen und die Erde doch.
(Pir Sultan Abdul)
(Pazarkaya, Yüksel: Rosen im Frost. Einblicke in die türkische Kultur.Zürich 1989 S. 44)
Die überschaubare osmanische Prosa beschränkte sich weitgehend auf theologische, histographische und biographische Werke, Reiseberichte und Briefliteratur. Hofchronisten und Reichsannalisten leisteten - neben Lobpreisungen der jeweiligen Herrscher - wichtige Beiträge zur osmanischen Geschichtsschreibung. Zu nennen sind v. a. die Historiker Aschykpaschasade (1400-1484), Neschri (?-1520), Kemalpaschasade (1469-1535), Ibrahim Petschevi (1574-1649) und Mustafa Naima (1655-1716).
(Eine Liste osmanischer Chronisten) sieh auch:
(Babinger, Franz: Die Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke, Leipzig 1927)
Als bedeutendster osmanischer Polyhistor und Bibliograph gilt Katib Tschelebi (1609-1657). Daneben gibt es einige wenige, aber erstaunliche Reise- oder Lebenserzählungen wie der "Weltenbummler" Evlija Celebi (1611-1683) oder den Chronisten und osmanischen Simplicissimus Osman Aga aus Temeschwar (1671-1725).
Evlija Celebi als guter Beobachter
Für einen Osmanen ist die Vorstellung, Teppiche an die Wand zu hängen genauso unmöglich, wie dies die Christen tun. (Natürlich handelt es sich nicht um Teppiche sondern um Gobelins/Bildwirerei). Vermutlich ist dies Ellija bekannt, dennoch ist es eine humoristische Anektode für seine Leser.
"Sämtliche Wände in der ganzen Burg sind mit bunt gewebten Teppichen geschmückt. In diesen Prunksälen und überhaupt in allen Giurenhäusern ist nicht der Fußboden mit Teppichen oder Kelim oder Strohmatten belegt, sondern sämtliche Teppiche sind dort an den Wänden. Der Boden aber ist mit winzig kleinen Marmorsteinchen gepflastert, daß es aussieht wie ein indisches Mosaik." S. 210
Für einen Osmanen war natürlich die Vorstellung, sich vor einer Frau zu verneigen, geradezu grotesk und genau deshalb schildert Evlija diesen für seine Leserschaft höchst seltsamen Brauch.
"In diesem Lande habe ich etwas ganz Merkwürdiges erlebt: Sooft der Kaiser auf der Straße einem Frauenzimmer begegnet, bringt er, falls er hoch zu Roß ist, sein Pferd zum Stehen und läßt die Frau vorbeigehen. Und wenn der Kaiser zu Fuß geht und dabei einer Weibsperson begegnet, so bleibt er in höflicher Haltung stehen. Dann grüßt die Frau den Kaiser, und da zieht er seinen Hut vom Kopf und erweist dem Weibsbild seine Ehrerbietung, und erst wenn die Frau vorbei ist, geht der Kaiser wieder weiter. Eine ganz seltsame Sache ist das. In diesem Land und überhaupt im ganzen Giaurenreiche führen die Weiber das große Wort, und man ehrt sie und achtet sie um der Mutter Maria willen." S. 233 ff.
Kreutel, F. Richard: Im Reiche des Goldenen Apfels. des türkischen Weltenbummler Ecliya Celebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung Wien anno 1665. Unetr Mitwirkung von Prokosch, Erich und Teply, Karl. (Osmanische Geschichtsschreiber bd. II) Graz 1987
Osman Aga als Diplomat
Osman Aga nutzt die Unterhaltung bei Fürst Rakoczy, um mit dem Vorurteil der Mehrehe sich seinen Spaß zu machen. In der Lebensumwelt von Osman Aga wäre es unmöglich gewesen, sich mehr als eine Ehefrau zu leisten und dies wußte natürlich auch die Leserschaft des Berichtes.
"Damals also unterhielt sie (gemeint ist Fürstin Sieniawski) sich mit mir über osmanische oder islamische Sitten und verschiedene andere Dinge, und dabei gab es viel Spaß. Schließlich fragte sie: "Seid ihr verheiratet?" "Jawohl, ich bin verheiratet", antwortete ich. "und wieviel Frauen habt Ihr?" wollte sie wissen, und ich schwindelte zum Spaß: "Ich habe zwei Ehefrauen und ein paar Krebsweiber." Sie fragte weiter: "Wie kommt Ihr denn da mit Euren Frauen beim Schlafen zurecht?" "Das ist ganz einfach!" entgegnete ich. "Entweder schlafe ich abwechselnd jede Nacht mit einer anderen, oder ich gehe in der Nacht reihum zu einer nach der anderen ins Zimmer und halte sie alle zufrieden."
Das gefiel ihr so gut, daß sie in schallendes Gelächter ausbrach. Und dann meinte sie: "Bei uns wäre so etwas unmöglich. Wenn ich meinen Mann mit einem anderen Weibe ertappen würde, das könnte ich nicht aushalten, und es wäre für mich die selbstverständlichste Sache der Welt, daß ich dieses Frauenzimmer umbringe!"
Darauf entgegnete ich: "Bei uns fügen sich die Frauen gemäß unserem Glauben dem Gebote Allahs und dem Worte Seines Propheten. Wer er sich leisten kann, darf sich vier Ehefrauen nehmen und dazu so viele Krebsweiber halten, wie er eben vermag. Diesbezüglich haben unsere Frauen kein Wort der Widerrede zu verlieren." S. 291
Steiner, Stefan (Hrsg.): Die Osmanen in Europa. Erinnerungen und Berichte türkischer Geschichtsschreiber aus vier Jahrtausenden, Graz 1985 (Aus dem Bericht des "Osman Aga aus Temeschwar" über die Höhepunkte seines Wirkens als Divandolmetscher und Diplomat 274 - 304)
Osmanische Geschichtsschreiber
Geschichte aus Geschichtsbüchern ist etwas ganz anderes als Geschichte von Menschen aus Ihren Zeugnissen zu erfahren. Gerade weil es sich beim Osmanischen Reich um eine stark islamisch geprägte Gesellschaft handelte ist deren Blickwinkel und Handlungsmotivation wichtig und spannend zu gleich. Es ist sicher ein riesiges Erlebnis die eigene historische Kultur durch eine ganz andere, nämlich die islamisch-osmanische Kultur, zu betrachten und diese Unterschiede bei der Interpretation dieser Geschichte zu berücksichtigen. Anders ausgedrückt, das Lesen kultureller schriftlichen Quellen ist notwendig, um Geschichte zu verstehen. Dies gilt nicht nur für uns Deutsche sondern ebenso für in Deutschland lebende Türken die ihre eigene Geschichte auf diese Weise kennen lernen wollen. Repräsentativ sind hier die Werke der Reihe "Osmanische Geschichtsschreiber" dargestellt.
Steiner, Stefan (Hrsg.): Die Osmanen in Europa. Erinnerungen und Berichte türkischer Geschichtsschreiber aus vier Jahrtausenden, Graz 1985
Giese, Friedrich (Hrsg.): Die altosmanischen anonymen Chroniken. Leipzig 1925
Kreutel, Richard F. (Hrsg): Reihe Osmanische Geschichtsschreiber 10 Bände, Graz,Wien, Köln
Band 01: Kara Mustafa vor Wien. Das trükische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683, verfaßt vom Zeremonienmeister der Hohen Pforte. 4 unverändr. Aufl. 1976
Band 02: Im Reiche des Goldenen Apfels. Des türkischen Weltenbummlers Evliya Celebi denkwürdige Reise in das Giurenland und in die Stadt und Festung Wien anno 1665. 1957
Band 03: Vom Hirtenzelt zur Hohen Pforte. Denkwürdigkeiten und Zeitläufte des Hauses “Osman” von Derwisch Ahmed, genannt “asik-Pasa-Sohn.1959
Band 04: Der Gefangene der Giauren. Die abenteuerlichen Schicksale des Dolmetschers “Osman Aga” aus Temeschwar. 1962
Band 05: Zwischen Paschas und Generälen. Bericht des “Osman Aga” aus Temeschwar über die Höhepunkte seines Wirkens als Diwansdolmetscher und Diplomat. 1966
Band 06: Leben und Taten der Türkischen Kaiser. Die anonyme vulgärgriechische Chronik Codex Barberinianus Graecus 111. 1971
Band 07: Molla und Diplomat.Der Bericht des Ebu Sehil Nu`man Efendi über die österreichisch-osmanische Grenzziehung nach dem Belgrader Frieden 1740/41. 1972
Band 08: Krieg und Sieg in Ungarn.Die Ungarnfeldzüge des Großwesir Köprülüzade Fazil Ahmed Pascha 1663 und 1664 nach den “Kleinodien der Historien” seines Siegelbewahrers Hasan Aga. 1976
Band 09: Der fromme Sultan Bayezid. Die Geschichte seiner Herrschaft (1481-1512) nach den altosmanischen Chroniken des Oruc und des Anonymus Hanivaldanus. 1978
Band 10: Der Löwe von Temeschwar .Erinnerungen an Ca`fer Pascha den Älteren, aufgezeichnet von seinem Siegelbewahrer Ali. 1981
Prokosch, Erich (Hrsg.): Ins Land der Geheimnisvollen Func. Des türkischen Weltenbummlers Evliya Celebi Reise durch Oberägypten und den Sudan nebst der osmanischen Provinz Habes in den Jahren 1672/73. Osmanische Geschichtsschreiber. Neue Folge Bd. 3, Graz 1994
Bulut, Christiane: Evliya Celebis Reise von Bitlis nach Van. Ein Auszug aus dem Seyahatname. (Turcologica 35) Wiesbaden 1997
Stöckel, Günther (Hrsg.): Memoiren eines Janitscharen oder Türkische Chronik. Übers. Lachmann, Renate. Slawische Geschichtsschreiber Band 8. Graz 1975