Osmanisches Reich
Osmanisches Reich

Die osmanische Stadt

Typische osmanisch-türkische Stadt, Safranbolu in Nordanatolien in der heutigen Türkei.

Auch wenn die Ursprünge der osmanischen Türken im Nomadentum lag, so war die osmanische Gesellschaft eine städtische Gesellschaft. Dabei gab es nicht die osmanische Stadt, das lag an den unterschiedlichen historischen Städten auf dem Balkan, in Anatolien oder im östlichen Mittelmeerraum. Die osmanischen Städte resultierten aus der Übernahme der bei den Eroberungen vorgefundenen Städten und die über sie vollzogene Unterwerfung in ein neues Herrschaftsgebilde mit eindeutig islamischen Vorstellungen. Außer den planmäßig ausgebauten Herrschaftsstädten wie Bursa, Edirne und Konstantinopel, waren Neugründungen kaum Bestanteil bei der Verbreitung der osmanischen Kultur.

Strukturen tradioneller osmanischer Städte

Typische osmanisch-türkische Stadt mit Festung , Bazar, Moscheen und Han (Stadt Mardin)

Trotz großer Bandbreiten in der Vergangenheit und der regionalen Besonderheit, kann für die osmanisch-türkische Stadt eine Kernstruktur, bestehend aus einzelnen Elementen typologischer Kennzeichen, gebildet werden. Ausnahmen sind hier bestehende Städte im Balkanraum und orientalische Städte (Die Typologie der orientalischen Stadt) im kulturellen Einzugsbereich zwischen Syrien und Ägypten.

 

1. Höhenburg (hisar), Stadtmauer, Festung (kale)

 

Sehr häufig finden wir Städte zu Füßen von Höhenburgen. Von den rund 80 Städten in Anatolien die Bey- oder Sancaksitz waren (Sitz der Verwaltung und Rekrutierungssitz für die Territorialtruppen) haben zirka 50 Städte dieses Merkmal. Dabei waren die Burgen oder Festungen keine feudalen Sitze von lokalen Machthabern sondern zeitbefristete Residenz des Militärkommandanten samt dem ihm unterstellten Truppen und deren Angehörigen. Neben der Burg oder Festung wurde die Stadt durch eine Mauer geschützt. Diese Mauer, zum Teil historisch übernommen, umschloss meist nicht nur den bebauten Teil einer Stadt, sondern umschloss ebenso die zu vielen Stadtviertel gehörenden Gärten und sogar Felder.

Selimiye, Edirne 1569-1575

2. Moschee (cami)/Medresse/religiöse Stiftung (vakif) oder Moscheenkomplex (külliye)

 

Vornehmstes Kennzeichen einer islamisch geprägten osmanisch-türkischen Stadt war das Vorhandensein einer Moschee. In ländlichen Siedlungen war es nicht notwendig eine Moschee zu besitzen. Die Moschee war meist Mittelpunkt eines Stadtkernes in deren Nachbarschaft soziale Einrichtungen wie Medresse und sonstige Stiftungen sich gruppierten.


3. Richterhaus (kadi)


Im osmanischen Reich übernahmen religiös (ilmiye) ausgebildete Richter (kadi) die Rechtsprechung. Dabei gab es kein Gerichtsgebäude, sondern im Wohnhaus des Richters wurde das Urteil gesprochen. Da der Kadi in engem Verhältnis zur Moschee und seinen Einrichtungen stand, war somit das Wohnhaus in der Nähe zur Moschee ein Kennzeichen einer osmanisch-türkischen Stadt. Dabei war die Stadt immer nur Teil eines Amtsbezirkes (kaza) für den der Richter zuständig war.

Historische Innenstadt von Bursa. Basar mit Moscheen und zahlreichen Hane

4. Basar (carsi)/Bedestan/Markt/Kawanserey (han)

 

Meist in unmittelbarer Nähe der Moschee lag der Markt. Es war kein Markt bzw. kein Marktplatz der als Marktrecht vergeben wurde, sondern ein lokal sich selbst vergrößernder Verkaufs- und Produktionsplatz der im Ganzen als Basar bezeichnet wird. Der Markt selbst ist eine koranische Institution die in enger Absprache mit dem Kadi und dem Stadtkommandanten den Handel und die Produktion innerhalb einer Stadt regelte. Bedestan ist ein typisch türkischer Basar-Kern, der nur in großen Basaren im Osmanischen Reich vorkam. Neben den Verkaufsbuden an den Strassen schlossen sich an diese Produktionsräume und Stapelräume (han) an. Nur in den Hane übernachteten Gäste bzw. Händler während ihrem Aufenthalt in der Stadt.

Städtische Strasse um 1870 (Istanbul)

5. Soziale Schichtung / Wohnviertel (mahalle) / Verteidigung

 

In osmanisch-türkischen Städten gab es kaum eine  Einkommenssekmentierung da die Menschen nach Sippen, Gruppen oder Konfessionellen Zugehörigkeit im eigenen separaten Wohnviertel lebten. Die Verwaltung und die steuerlichen Abgaben der Wohnviertel lag bei den Noblen der jeweiligen Gruppen. Eine gesamte Verwaltung oder Planung der Stadt oder bestimmte städtische Rechte, gab es nicht. Vielmehr unterstanden die jeweiligen Mitglieder der Wohnviertel einer strengen sozialen nachbarschaftlichen Ordnung die separiert z.T. durch eigene Ummauerung von den angrenzen Stadtviertel abgeteilt waren. In größeren Städten gab es somit kein geschlossenes städtebauliches Siedlungsgebiet, sondern eine um den Stadtkern locker sich nach einzelnen Viertel verstreute Bebauung die z.T. durch Gärten, Felder oder Friedhöfe getrennt waren. Die Bewohner der Stadt waren nicht für deren Sicherheit verantwortlich oder Kämpften für diese.

 

Die Verteidigung lag in den Händen des Stadtkommandanten mit seinen Truppen. Dazu dienten meist Janitscharen aus der Hauptstadt. Neben der sozialen Kontrolle in den Wohnviertel gab es noch die Zünfte bzw. Gilden von Handwerkern (esnaf) die den Einzelnen in strenge Normen einband und somit einer zusätzlichen Kontrolle unterwarf. Städtische Freiheiten (z.B. eigene Rechtsprechung) wie wir sie aus mittelalterlichen europäischen Städten kennen, waren in dieser Form nicht vorhanden.

 

Uhrturm in Ismir 19 .Jh. Innenstadt

Einwohner von osmanischen Städten im 16. Jh.
Istanbul ca. 400.000 Tsd./Kairo ca. 385.000 Tsd./Damaskus und Aleppo ca. je 100.000 Tsd./Bursa 65.000 Tsd./Edirne ca. 30.000 Tsd./Konya ca. 25.000 Tsd.


(Die Schätzung von Bevölkerungszahlen im Osmanischen Reich ist sehr schwierig. Die Berechnung erfolgt meist über die Haushaltsregister (hane). Hier liegt für die Zukunft noch ein grosser Forschungsbedarf.)

 

Einwohner von europäischen Städten im 16 Jh.
Paris und London ca. 100.000 bis 150.000 Tsd./Rom ca. 100.000 Tsd./Köln ca. 60.000 Tsd./Augsburg und Nürnberg ca.je 50.000 Tsd. 

Grundriss einer typischen osmanisch-türkischen Stadt, Diyarbakir in Ostanatolien in der heutigen Türkei.

Definition einer Stadt

 

Im osmanischen Reich gab es keine juristische Definition einer Stadt. Dies war nicht notwendig, da hieraus keine rechtlichen Sonderstellungen sich ableiteten. Tatsächlich verwendete man den Begriff Stadt (sehir) für Städte die alle Merkmale einer osmanisch-türkischen Stadt bein- halteten. Daneben gab es noch die Kleinstadt (kasaba) die befestigte Stadt (kale) oder offene Stadt mit Festung (ic kale) oder die offene Gartenvorstadt (varos). Erst 1924 wurde die Trennung zwischen Kleinstadt (kasaba) und Stadt (sehir) durch den Grenzwert von 20.000 Tsd. Einwohnern festgelegt.

Abendländische Stadt versus osmanisch-türkische Stadt

Einweihung der Strassenbahn in Istandbul Anfang des 20.Jh.

Während einige Merkmale einer mittelalterlichen Stadt mit Europa große Ähnlichkeiten aufweisen, wie Stadtmauern, Marktplatz, Kirche, Stiftungen, Stadtburg oder Festung, fehlen wichtige politische Einrichtungen wie Rathaus, Palast und die damit planvoll angelegten Verbindungen. Wenn man die osmanisch-türkische Stadt als in ihrem Wesen nach islamische Stadt begreift, dann erkennt man den wesentlichen Unterschied in der politischen Organisation. Städte waren keine eigenständige Herrschaften noch rechtlich selbständige Territorien. Auch gab es keinen Gegensatz zwischen bischöflicher Stadt und deren Recht versus eine politisch eigenständige Bürgerschaft mit einem Bürgermeister an ihrer Spitze oder einer freien kaiserlichen Stadt, die gleichfalls durch die Bürgerschaft verwaltet wurde.

 

Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit, Bürgerrechtsprivilegien und die Verleihung von Markt- rechten waren in der osmanisch-türkischen Stadt nicht gegeben. Ebenso gab es keine soziale Trennung nach Patrizier, Handwerker und Klerus die meist in eigen Stadtteilen wohnten. Ähnlichkeiten beziehen sich nur auf religiöse Wohnviertel vergleichbar den jüdischen Viertel in Europa.


Der Rechtsunterschied osmanisch-türkischer Städte lag im Verwaltungsstatus. Städte waren samt umliegendem Land Lehensbesitz (timar) oder bei Sitz des Sandschak (ziamet) oder gehörte direkt dem Sultan oder Mitgliedern der Herrschaftsfamilie (has). In größeren Städten lag die Macht beim eingesetzten Staatsbeamten bzw. Stadtkommandanten meist einem Sandschakbey, in kleineren Städten wurde die Staatsverwaltung vom Richter (kadi) durchgeführt. In beiden Herrschaftsformen war der Marktaufseher (muhtesib) ausführendes Organ zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung über den Handeln und die Zünfte bzw. Gilden (esnaf).


Eine Stadtplanung im Sinne antiker oder abendländischer Tradition gab es nicht. Das Innerstädtische Straßennetz gliederte sich in öffentliche Durchgangsstrassen (tarik-i am) und Privatstrassen (tarik-i has) die die einzelnen Wohnviertel erschlossen.

Die Europäisierung der Stadt ab dem 19. Jh.

Sicht auf Galata 1880 typische Hausbauten

Im 18. Jh. erlebten viele osmanisch-türkische Städte einen Niedergang da die alte Funktion als Verteidigungsstätte wegfiel oder die West-Ost Wanderung der Bevölkerung gerade die Städte in Zentral- und Ostanatolien verweisen ließen. Erst die Europäisierung der Städte im 19. Jh. stoppte diese Entwicklung und führte zu einer Umorganisation der osmanisch-türkischen Stadt, deren heutiges Erscheinungs- bild nochmals Anfang des 20. Jh. dramatisch sich veränderte.


Neues Gebäude war der Regierungssitz des Kommandanten (Konak) das in der Nähe des zentralen Marktes oder der Moschee errichtet wurde. Ebenso wurde ein öffentlicher Platz in der Nähe oder vor dem Regierungsgebäude geschaffen. Dabei wurden hier oft so genannte Uhrtürme eingerichtet oder im 20 Jh. eine Denkmal aufgestellt. Die Städte änderten sich auch durch Zerstörung oder Anbindung an die Verbindung der Bahn oder im planvollen Ausbau an einen Hafen. Bis ins 19. Jh. waren große Hafenstädte kein Merkmal osmanischer Städtekultur. Ebenso wurde die topographische Anbindung an wichtige Verkehrsstrassen ein neues Element in der modernen Entwicklung der türkischen Stadt.


Was die Tanzimatzeit erreichte war die Zusammenlegung der Verwaltung und der Wirtschaft in einem meist vorhanden Stadtzentrum. Dabei waren auch Neugründungen, im Gegensatz der bisherigen Politik, nicht selten. An wichtigen Verkehrsknotenpunkte oder wichtigen Rohstoffvorkommen entstanden neu Städte die jetzt planvoll angelegt wurden. Dieser Vorgang war aber nur Machbar, da vorhandene Städte keine Rechtsanspruch auf seine bisherige Funktion hatten und somit leicht an Bedeutung verloren. Hatt-i humajun (Kaiserliches Handschreiben) 10. Dschemazi II 1272 (18. 02.1856)


Insgesamt war die Folge dieser städtebaulichen Veränderung eine zunehmende Verdichtung des Städtenetzes im Osmanischen Reich und vor allem in der heutigen Türkei. Gleichzeitig mit dem Einzug der Modernisierung steigerten sich die Probleme des bisherigen Boden- bzw. Landrecht und der historischen bzw. traditionellen Verwurzlung mit dem bisherigen Wohnviertel. Alle dies Faktoren, verstärkt durch die Abertausenden von Flüchtlingen, die das Osmanische Reich im 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. aufnehmen musste, zerstörten die osmanisch-türkische Stadt oder lies deren Existenz bis in die heutige Zeit kaum noch Raum.

Literaturauswahl

Bunji, Muroton (Hrsg.): Turkey: Pilrimage to cities. Tokyo 1990


Faroqhi, Suraiya: Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jh. München, 1995


Hütteroth, Wolf-Dieter: Türkei. (Wissenschaftliche Länderkunden Bd. 21) Darmstadt,  1982


Müller-Wiener, Wolfgang: Stadtbild und Städtisches Leben, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit: (Hrsg.) Museum für Kunsthandwerk der Stadt Frankfurt  2 Bände, Recklinghausen 1985 S. 131 - 140


Scharabi, Mohamed: Der Bazar. Das traditionelle Stadtzentrum im Nahen Osten und seine Handelseinrichtungen. Türbingen 1985

 

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