Diese Begrifflichkeiten ziehen sich seit dem 15 Jh. bis ins 17 Jh. durch die Erinnerung deutscher Geschichte. Der Türke erscheint in dem umfangreichen Material unserer Archive als das Sinnbild des Bösen. Das Gesamte Bild des türkischen Staates, welches im Bewusstsein unser Vergangenheit existierte, war durch das Vordringen der Türken (Osmanen) vom militärischen und religiösem Abwehrkampf der ganzen Christenheit geprägt. Der Nachfolgende Aufsatz zeigt die direkte und indirekte Beeinflussung der “Türkennot” auf die Organisation der Verwaltung und der gesellschaftlichen Entwicklungen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im 16 Jh.. Dabei liegt sein Schwerpunkt in der Entstehung und Implementierung der so genannten “Reichskreise“ und der “Türkensteuren”. Gerade die Steuermaterie hat tiefe Spuren in der deutschen Finanzgeschichte der beginnenden Neuzeit hinterlassen. Besonderen Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Göttmann von der Universität Konstanz. Konstanz 1990
Einleitung
Im Rahmen der bisherigen Reichsforschung gab es zwei unterschiedliche Hauptgesichtspunkte. Erstens die Erforschung des Staats- u. Verfassungsrecht und damit verbunden die innenpolitische Sichtweise. Zweitens die Erforschung der Außenbeziehungen des Reiches und damit die außenpolitische Sichtweise. Somit wurde bei der Bearbeitung der Türkengefahr / Türkenkriege in der Hauptsache die außenpolitischen Auswirkungen erarbeitet. Erst der Versuch einiger Wissenschaftler, eine unmittelbare Beziehung zwischen der Türkengefahr und der Reformation1herzustellen, brachte auf diesem Gebiet die Erkenntnis der Wechselwirkung zwischen außenpolitischen und innenpolitischen Interessen. Wenn wir also die These bekräftigen, erscheint es zwangsläufig die Art der Verknüpfung darzustellen. Hierbei spielt der militärische Aspekt insofern eine wichtige Rolle, als dass das 16 Jh. im Zeichen der Landsknechtheere zu sehen ist.2 Voraussetzung jedes Krieges bildet also die Frage der Finanzierung, in unserem Fall die Reichstürkenhilfe. Leider gibt es keine Gesamtdarstellung der Reichstürkenhilfe im 16 Jh. sowie über ihre spezifische Finanzierung, Organisations-. u. Funktionsweise, noch deren Fortentwicklung.3 Wenn wir uns aber gerade diesen Funktionen zuwenden und die Summe der einzelnen Reaktionen auf administrativer Ebene als Aufgabe betrachten, also den Zusammenhang zwischen Äußerem Druck durch die Türkengefahr auf das politische System des Reiches und den dadurch bewirkten inneren Reaktionen auf die Reichsinstitutionen veranschaulichen, dann können wir das Thema der vorliegenden Arbeit umfassend damit charakterisieren.
Die nachfolgende Arbeit bezieht sich in der Hauptsache auf den Einfluss der Türkengefahr auf die Reichsinstitutionen, also Reichsregiment, Reichstag, Reichskreise, sowie die dabei wichtigen Themen wie Reichstürkenhilfe, Römermonate und Baugelder, was implizit das Reichsheer und die Reichsbesteuerung beinhaltet aber nicht diese als Schwerpunkt aufzeigen will.
1 Fischer-Galati,S.A.: Ottoman lmperialism and German Protestantism 1521-155, New York 1972 (Zusammenfassung zahlreicher vorherigen partiellen Untersuchungen)
2 Fiedler,S.: Kriegswesen und Kriegsführung im Zeitalter der Landsknechte. (Reihe Heerwesen der Neuzeit, Abt. 1, Bd.2 (Hrsg.) Ortenburg,G.), Koblenz, 1985
3 Steglich,W.: Reichstürkenhilfe der Zeit Karls V, in: Militärgeschichtlichen Mitteilungen 1/72 (Hrsg.) Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg 1972 5. 7 (Vor allem erste Hälfte 16 Jh./ Zur zweiten Hälfte des 1.6 Jh.) siehe hierzu, Schulze,W: Reich und Türkengefahr im späten 16 Jh., 1. Aufl. München 1978
Allgemeine Situation
Zur Untersuchung eines speziellen Themas, in diesem Fall das Reich und die Türkengefahr, ist es unumgänglich die gesamt Lage der historischen Epoche kurz darzulegen. Allgemein strukturiert die Geschichtswissenschaft das 16 Jh. in der ersten Hälfte unter dem Schlagwort "Reformation" und die zweite Hälfte unter dem Schlagwort der "Gegenreformation". Oft kann man die Bezeichnung Glaubenskriege oder Glaubenspaltung lesen. Diese Begriffe, auch wenn sie nur einige Bezeichnungen unter vielen sind zeigen, dass jede Untersuchung in Bezug auf Reich und Türkengefahr, den Aspekt der Reformation behandeln muss. Wichtig erscheint mir zum einen die deutsche Kaiserwahl von Karl V, bei der der französische König Franz I 1519 unterlag und somit eine permanente Konfrontation zwischen den beiden Herrschern und ihren jeweiligen Verbündeten entstand. Zum anderen der Eingang erwähnt, beginnende Reformation seit 1517. Die aus beiden Ereignissen resultierenden Entwicklungen sind aber nicht Thema dieser Arbeit, weil dies den Umfang der Arbeit sprengen würde, doch müssen deren Einwirkungen und Ereignisse bei den jeweiligen Aussagen berücksichtigt werden.
Mit der Wahl des Habsburgers Karl V. begann gleichzeitig der Kampf um die Vormachtstellung des Hauses Habsburg in Europa. Die damit verbundene Reichspolitik und die Entstehung der Reformation führten somit, auch unter dem Gesichtspunkt einer neuen Epoche, zu Problemen und Spannungsfelder, in der eine Trennung zwischen rein Machtpolitischen und Religionspolitischen streben nicht mehr unterscheidbar wird. Damit soll verdeutlicht werden, dass wir keine klaren Fronten zwischen den einzelnen religiösen Gruppen und den machtpolitischen unterschiedlichen Konstellationen im Ganzen herausarbeiten können. Diese faktische Vermischung von Staatsraison und Religion zeigt sich im späteren Verlauf der Arbeit, bei der Beschreibung der Interessenvertretung auf den Reichstagen und der Bewilligung der Reichstürkenhilfe, als äußerst Komplex. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Idee eines christlichen Kreuzzuges4und eines gemeinsamen christlichen Feindes nicht mehr durchführbar war. Dies liegt wiederum an den anti-habsburgerischen Interessen von Frankreich, dem Papst, der Stände etc., die oftmals die Türkengefahr als Druckmittel gegen den Kaiser einsetzten oder sich gar mit den Osmanen verbündeten5. Andererseits in handelspolitischen Gründen, hier vor allem Venedig und andere Handelspartner.
4 Der Gedanke eines Kreuzzuges zieht sich durch die gesamte Auseinandersetzung mit den Türken (Osmanen). Doch wurde er gegenüber den Osmanen nur im Jahre 1444 verwirklicht und endete mit derNiederlage bei Varna. Übrigens liegt dieser Gedanke, in der Präambel der Reichsregimentsordnung Maximilians I aus dem Jahre 1500, zugrunde. ( siehe hierzu) Kunisch, J.: Das Nürnberger Reichsregiment und die Türkengefahr, in: Historisches Jahrbuch Jg. 93 S. 57-72 (Hrsg.) Spörl, J.,München/Freiburg 1973, S.60
5 Matuz,J.: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1985 S. 122 ff.
Spezifische Situation
Mit der Machtübernahme Sultan Süleymans I (1520-1566) richtete sich der Expansionswille der Osmanen wieder nach Europa, insbesondre nach Ungarn. Mit der Potenz einer aufsteigenden Weltmacht eroberten die Osmanen 1521 die damalige wichtige ungarische Grenzfestung Belgrad. Trotz der in Ungarn und im Reich erkannten Gefahr war eine militärische Einigung zwischen dem Reich und dem schwachen König Ludwig II nicht zustande gekommen. Nicht allein, dass Karl V. keine ausreichende Unterstützung im Reich fand war der Grund, sondern auch die militärische Auseinandersetzung mit der "Heiligen Liga" von Cognac.6 Somit standen die Ungarn 1526 allein in der Schlacht bei Mohac, in der König Ludwig II starb und Ungarn als souveräner Staat praktisch aufhörte zu existieren. Da nun der Bruder Karl V. die Schwester des Ungarischen Königs geehelicht hatte, sollte nun Ungarn unter die Herrschaft der Erzherzogs Ferdinand I fallen. Unterstützt durch eine starke Partei des einheimischen Adels und im Vasallenverhältnis zu Süleyman I, behauptete Johann Zapoly, der Wojwode von Siebenbürgen, als Gegenkönig einen erheblichen Teil des Landes.7 Damit war das Reich, durch die ungarischen Erbansprüche direkt zum Gegner der Osmanen geworden. 1529 standen die Osmanen vor Wien und damit hatten sie die Grenzen des Reiches Überschritten, wobei die "Renner und Brenner" bis weit in die habsburgischen Erblande eindrangen.8Schon 1532 erschienen die Osmanen erneut an der Reichsgrenze und verheerten die Steiermark, wobei Streifscharen bis in den Raum Linz vordrangen, aber beim Versuch dem abziehenden Kernheer zu folgen von den Reichstruppen vernichtet wurden, die nicht den Kampf mit den Truppen des Sultans aufgenommen hatten.9Zapolya versprach 1538 in einem Geheimabkommen das Erbrecht Ferdinand I, hinterließ aber bei seinem Tod 1540 einen Nachfolger, den wiederum Süleyman I als Thronfolger anerkannte, was erneut zu Kämpfen in Ungarn führte. Diesmal zogen sich die Kämpfe von 1541 bis 1547 und hatten die endgültige Teilung Ungarns zur Folge. Im Frieden von Edirne verblieb der Westteil des Landes in den Händen der Habsburger, der Ostteil entwickelte sich zum Vasallenfürstentum Siebenbürgen und Zentralungarn wurde osmanische Provinz für die nächsten 150 Jahre.10 Dieser Friedensschluss zeigte, wie die Verhandlung von 1529, die eminente Wichtigkeit, was die künftige Behandlung des Osmanenstaates durch die europäischen Mächte betraf. Denn während den Verhandlungen mussten die Habsburger erkennen, dass sie keinen “Barbarenhaufen”, sondern einer durchaus ebenbürtiger Macht gegenüberstanden.11Zwar kam es 1551 /52 noch mal zu Auseinandersetzungen in Ungarn, weil die Habsburger den Versuch unternahmen Ostungarn zu erobern, doch war ihnen wiederum kein Erfolg beschieden. Zwei Jahre nachdem Maximilian II. Kaiser geworden war verweigerte er die jährliche Tributzahlung an den Sultan, worauf erneut Kämpfe an der Grenze ausbrachen, doch verlief der Krieg von 1566/68 im ganzem ohne bedeutende Ereignisse. Die nachfolgenden Jahre verliefen im Großen und Ganzen ohne größere militärische Operationen wobei man die Zeit zum Ausbau der Militärgrenze (1522-1881) gegen die Osmanen nutzte. Erst mit der beginnenden Gegenreformation 1579 in Westungarn ergaben sich erneut Unruhen. Diese Un- ruhen und Grenzstreitigkeiten führten am Ende des 16 Jh. zum “langen Türkenkrieg” (1593 - 1608). Mit dem Frieden von Zsitvatorok (1606) endete nicht nur ein verlustreicher und teurer Krieg, auch die bis dahin bestehende Türkengefahr ließ in ihrer Aktualität nach.
6 Anti habsburgisches Bündnis von Franz I, Papst Clemens VII. und einigen Oberitalienischen Städten.
7 Rabe,H.: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs u. Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547/48. Köln 1971, 5. 30
8 Hummelberger,W.: Wiens erste Belagerung durch die Türken 1529, in: Militärhistorische Schriftenreihe Heft 33 (Hrsg.) Heeresgeschichtliche Museum, Wien 1976
9Gerhartl, G.: Die Niederlage der Türken am Steinfeld 1532, in: Militärhistorische Schriftenreihe Heft 26 (Hrsg.) Heeresgeschichtliches Museum, 2 Aufl. Wien 1981
10 Matuz, Op. cii., S. 125 ibid., S. 11
11 ibid., S. 11
Die verschiedenen Funktionen der Diskussion über die Türkengefahr.
Da es sich bei der Türkengefahr nicht allein um ein militärischer Problem handelte, sondern ein “öffentliches Problem” im 16 Jh. darstellte, muss im Rahmen einer Untersuchung der Beeinflussung der Reichsinstitutionen, auch der Zusammenhang der Kommunikationsprozesse, also die Art und Steuerung von Publikationen, kurz aufgezeigt werden. Der neuere Forschungsstand unterscheidet drei Arten von Kommunikation.12
a. Informative Funktion, darunter versteht man Texte, die zur Aufklärung und zu Ereignisse in den Türkenkriegen oder Über die Osmanen entstanden.
b. Diskursive Funktion, darunter versteht man die bewusste Einflussnahme der Herrschenden, um das funktionieren der gesellschaftlichen Ordnung zu dokumentieren. Die dauernden Niederlagen zeigten offen die Schwäche der Reichsverfassung und des gesamten Feudalsystems. Auch um den Übertritt auf türkisches Gebiet zu vermeiden.13Dies zeigt sich vor allem seit der Mitte des 16 Jh. mit der Zunahme der Reistagsveröffentlichungen.
c. Propagandistische Funktion, darunter versteht man zum Einen die Mobilisierung der Abwehrkräfte in Form von Steuern, deren Höhe meist die tatsächlichen Forderungen überstiegen, worauf man die Überschüsse für sich selbst in Anspruch nahm (dies betrifft in der Hauptsache die Territorialherren nicht die Städte). Zum anderen als politisches Druckmittel des Kaisers zur Einigung der Reichstage oder zur Erlangung von Zugeständnisse der Stände vom Kaiser etc..
Damit erweist sich das Thema der Türkennot als Druckmittel der verschiedenen Interessengruppen im Reich und im gesamten Europa. Somit wird der Türke zum Erzfeind der Christenheit und zum speziellen Feindbild des Reiches.
12 Schulze, Op. cit., 5. 21 ff.
13 Schwarz,K.: Die Türken als Hoffnung der deutschen Protestanten zur Zeit des lnterims, in: Europa und der Orient 800-1900 5. 51-55 (Hrsg.) Sievernich,G. (LeseBuch zur gleichnamigen Ausstellung), Berlin 1989, S. 53